Dienstag, 3. September 2013
Gedichte zur Wahl
Es gibt Gedichte zur Wahl? Ja, tatsächlich, eines ist sogar über 350 Jahre alt und das Ergebnis wird auch in einem alten Gedicht vorausgesagt. Neugierig geworden? Ich hoffe. Also los:

Viel geändert hat sich in den letzten vierhundert Jahren nicht bei der Meinung über Politiker:

Friedrich von Logau (1605-1655)
Heutige Welt-Kunst

Anders sein und anders scheinen,
Anders reden, anders meinen,
Alles loben, alles tragen,
Allen heucheln, stets behagen,
Allem Winde Segel geben,
Bös- und Guten dienstbar leben;
Alles Tun und alles Tichten
Bloß auf eignen Nutzen richten:
Wer sich dessen will befleißen,
Kann politisch heuer heißen.

(Quelle: Gedichte für alle Fälle)

Die Anstrengungen im Wahlkampf werden jedoch von poetischer Seite gebührend gewürdigt:

Hans-Peter Kraus
Kandidatenplakate

Da haben die Parteien

Dem Volke!

aber mal wieder ganz genau
aufs Maul geschaut.

Jemand hätte ihnen erklären sollen,
dass es nicht so gemeint ist,
wenn die Leute sagen:
Am besten
man hängt alle Politiker
an den Straßenlaternen auf.

(Quelle: Ziemlichkraus)


Und nun zur allerletzten Hochrechnung, die eher eine Abrechnung ist:

Ludwig Thoma (1867-1921)
Resignation

Es gibt noch Leute, die sich quälen,
Aus denen sich die Frage ringt:
Wie wird der Deutsche nächstens wählen?
Wie wird das, was die Urne bringt?

Die Guten! Wie sie immer hoffen!
Wie macht sie doch ein jedesmal
Der Ausfall neuerdings betroffen!
Als wär' er anders, wie normal!

Wir wissen doch von Adam Riese,
Dass zwei mal zwei gleich vieren zählt.
Und eine Wahrheit fest wie diese
Ist, dass man immer Schwarze wählt.

Das Faktum lässt sich nicht bestreiten,
Auch wenn es noch so bitter schmeckt.
Doch hat das Übel gute Seiten:
Es ruhet nicht auf Intellekt.

Man muss die Sache recht verstehen;
Sie ist nicht böse, ist nicht gut.
Der Deutsche will zur Urne gehen,
So wie man das Gewohnte tut.

Wer hofft, dass es noch anders würde,
Der täuscht sich hier, wie überall.
Die Schafe suchen ihre Hürde,
Das Rindvieh suchet seinen Stall.

(Quelle: Gedichte für alle Fälle)

Da sage noch einer, Lyrik hätte nichts mehr zu sagen, Lyrik wäre nicht auf der Höhe der Zeit. Im Gegenteil: Lyrik weiß Bescheid.


Dienstag, 11. Juni 2013
Expressionismus im Gedicht
Mir ist letztens eine Gedichtsammlung untergejubelt worden mit expressionistischen Gedichten, die aus dem Jahr 1969 stammt. Der Verlag: Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, "Printed in the German Democratic Republic". Ein Teil der Expressionisten hatte eine Sympathie für Revolution und Umsturz, aber das war in der Hochzeit des Expressionismus von 1910 bis 1925 ja eh nicht ungewöhnlich. Bis auf eine etwas bevorzugte Stellung von Johannes R. Becher, der in der DDR ein hohes Tier war, scheint mir die Sammlung auch nicht besonders sozialistisch angehaucht.

Bisher hatte ich kein besonderes Verhältnis zu den Expressionisten. Aber man wird älter und reifer. Von daher war es jetzt doch interessant, wie sie sich aus der traditionellen Lyrik ausgegraben und neue Wege gesucht haben. Dem Alter der meisten Expressionisten geschuldet war der auch viel jugendlicher Überschwang dabei, expressionistisch halt. Die tragische Komponente dieser Strömung lässt sich an den Lebensdaten vieler Dichter sehen, die in jungen Jahren zwischen 1914 und 1919 starben. Da ist der Literatur viel Zukunft genommen worden.

Einer, der überlebt hat, aber als Dichter in Vergessenheit geriet, ist Oskar Kanehl (1888-1929). Ein glückliches Ende hat auch er nicht genommen. Hier sein Gedicht über den Kriegsausbruch:

Krieg

Was jubelt ihr und schwenkt die bunten Tücher?
Und brüllt den Krieg?
Werdet vor heiligem Gottgeist schamrot!
Hunger und Seuche und Tod
feiern den Sieg.
Was schießt ihr plötzlich auf euern Menschenbruder,
den ihr geliebt?
Fallt sengend über sein Gut und Habe her?
Staaten- und Völkerrecht. Wisst ihr nicht mehr,
dass es Menschenrecht gibt?
Leichenfeld. Kunst und Wissenschaft sind ein Gelächter,
Krähenmusik.
Gott ist verjagt. Stumm ist sein Buch der Bücher.
Was jubelt ihr und schwenkt die bunten Tücher?
Und brüllt den Krieg?

Expressionismus im Netz:
Etwas Hintergrundwissen vermittelt antikoerperchen.de, Gedichte mit Interpretationen hat kerber-net und eine kommentierte Auswahl typischer expressionistischer Gedichte bietet Gedichte hoch drei.


Samstag, 18. Mai 2013
Ein Gedichtbuch gewinnen
Bei www.gruss-an-dich.de läuft gerade eine Aktion, bei der man die Gedichtsammlung Zum Reimen schön gewinnen kann. Das Buch ist eine Zusammenstellung von bekannten, aber auch etwas unbekannteren Gedichten von den alten Meistern und ein paar jungen Hüpfern. Die Aktion läuft unter dem Motto "Strandlektüre gewinnen". Ich denke, dafür ist es genau richtig. Nicht zu anstrengend und etwas Ablenkung, während man in der Sonne brutzelt.

Was muss man tun, um eins von den zehn Büchern zu gewinnen? Die Seite ist ein Grußkartenservice (das Buch ist auch bebildert) und so möchten die Veranstalter, dass man jemanden mit einer Grußkarte überrascht. Dann wird Name und E-Mail-Adresse des Absenders gespeichert. Andere Adressdaten werden erst abgefragt, wenn man gewinnt, ist also kein Adressdatengewinnungsfestival. Die Grußkarten werden übrigens tatsächlich per E-Mail verschickt. Sonst verschickt man nur einen Link, wo der Empfänger drauf klicken muss. Wer aber zwei E-Mail-Adressen hat (und wer hat die nicht?), der hat's natürlich einfacher.

Sämtliche Gedichte der Sammlung sind als Links zu Internetquellen auf der Buchseite zu finden. Die Kapitel sind nach Monaten organisiert. Aus dem Mai hab ich mir Folgendes herausgepickt

Arnim/Brentano (Hrsg.)

Es ist der Menschen weh und ach

Wie bin ich krank,
Gebt mir nur einen Trank,
Nur keine Pulver,
Und keine Pillen,
Die können meinen Schmerz nicht stillen:
Wie bin ich krank!

Wie bin ich matt!
Kaum ess ich mich nur satt;
Des Fiebers Wüten
Durchwühlt den Körper,
Schwächt alle Glieder:
Wie bin ich matt!

Ich sterbe ja,
Drum gute Nacht;
Mein Testament ist gemacht,
Sag meiner Phillis,
Sag mein Verlangen,
Dort seh ich sie, sie kommt gegangen,
Küss mir den Mund:
Ich bin gesund.


Mittwoch, 24. April 2013
Erster Mai - Tag der Arbeit
In einer Woche ist der erste Mai, da muss ich an früher zurückdenken: Das waren noch Zeiten, als wir im April unseren Erster-Mai-Kalender bekamen, wo wir jeden Tag ein Türchen aufmachten und ein Stück Schokolade fanden, und am ersten Mai kam dann der dicke Onkel Gewerkschaftssekretär und brachte die Geschenke. Von diesen schönen Bräuchen ist nichts mehr übrig, bleibt nur sich mit ein paar Gedichten zum Thema Arbeit zu trösten. Und wie es der dicke Onkel Gewerkschaftssekretär so will, hab ich gerade dafür ein paar Vorschläge da:

Unter dem bemerkenswert kurzen Titel Sprüche Arbeit finden sich kurze Gedichte und auch Sprüche zum Thema ... äh ... Arbeit. Selbst der alte Herr Goethe hat das eine oder andere Sprüchlein beizusteuern, obwohl der Arbeit ja wohl nur von ferne sah, so viel Zeit wie er für Gedichte und anderes übrig hatte.

Otium Bremen ist was ganz Spezielles, nämlich eine "Initiative zur Rehabilitierung von Muße und Müßiggang". Dort gibt es "Gedichte, Texte und Zitate zur Arbeitsmoral", natürlich bevorzugt von der zersetzenden Sorte, aber auch manch irriges Loblied auf die Arbeit.

Ein Loblied auf die Arbeit wird man vergeblich bei "Gedichte hoch drei" suchen, die Gedichte zur Arbeit dort werden mit dem denkwürdigen Satz eingeleitet: "Wer als Arbeitgeber sich also Hoffnung macht, ein paar poetische Motivierungsverse zu finden, wird bitter enttäuscht."

Das sollte reichen, ich mach jetzt das Türchen für heute auf. Mahlzeit!


Freitag, 5. April 2013
April! April?
Mit den Monaten wird es immer seltsamer. Letztes Jahr dachten die meisten Monate, sie wären ein April, dieses Jahr denkt der April, er ist Januar. Er nimmt überhaupt keine Rücksicht auf die Lyriker, die so wunderbare Gedichte über die Wirren des Aprils geschrieben haben zwischen Winternachschlag und Frühlingseinbruch, zwischen Sonne und Regen, zwischen blauem und grauem Himmel. Also nur zur Erinnerung hier einige Auswahlen mit Aprilgedichten:

XBIB hat wie üblich sehr viel quer durch den Garten. Zwischen die alten Dichter haben sich ein paar Nachwuchsautoren gemischt.

Gedichte für alle Fälle ist ein bisschen wählerischer und mixt auch gleich Maigedichte dazu. Die sind vielleicht auch zur Zeit schöner zu lesen.

Bei Zum Reimen schön findet man eine Liste mit Gedichten, die den April thematisieren, aber auch Gedichte, die irgendwie sonst in den April passen, etwas Frühling, etwas Lieben, etwas Humor, den man zweifellos im April braucht.

Die letzte Option für April-Gedichte ist 'Gedichte hoch drei' mit einer übersichtlichen, kommentierten Auswahl.

Das sollte zum Warmlesen bis in den Mai reichen.


Donnerstag, 21. März 2013
Has! Has! Osterhas!“
Bald ist Ostern und hier liegt Schnee. Soll sich keiner wundern, wenn der Osterhase aufm Schlitten kommt. Früher hätte es so was nicht gegeben, da war zu Ostern der Frühling in voller Fahrt. Ich weiß noch, wie damals die jungen Leute mit dem Schlachtruf „Has! Has! Osterhas!“ durch die Straßen zogen. Da wurden halbverhungerte Weihnachtsmänner aus Kellerlöchern gezerrt und in Osterfeuern verbrannt. Dann jagte man am Karfreitag Juden und Moslems, weil sie den Sohn Gottes gekreuzigt hatten. Die Moslems eigentlich nicht direkt, die waren da noch gar nicht geboren als Religion. Aber sie hätten, wenn sie schon da gewesen wären. Und schließlich konnten die Juden ja auch nichts dafür, die waren ja auch noch nicht geboren, so persönlich. Da gibt's auch ein Gedicht drüber. Was soll’s. Gleiches Recht für alle. „Has! Has! Osterhas!“

Schön war auch das Eiergranatenverstecken in den Vorgärten der Eigenheimler. Da wurde am Ostersonntag immer der Rasen gesprengt. Ich weiß noch, die Stoltenbergs hatten einen Sohn, Thomas – der Name hat auch irgendwas mit der Bibel zu tun –, der war so dämlich, dass er den Stift der Eiergranate mit dem Mund herauszog, nachdem er von den früheren Osterfesten schon keine Arme mehr hatte. Danach hab ich ihn nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich ist er heute Sparkassendirektor in irgendeiner Kleinstadt und zieht alte Leute über den Tisch. Solche Typen fallen ja immer auf die Füße.

Nun ja, man wird älter. Jetzt begnüge ich mich damit zu Ostern in Gedichten zu stöbern und dazu eine Prise Humor à la Française mitzunehmen. „Has! Has! Osterhas!“


Dienstag, 12. Juni 2012
Deutsche Gefallene
"Und dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glücksüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen." wird Bundespräsident Gauck heute zitiert. Ja, ja, Gefallene! Da der Bundespräsident angeblich ein offenes Wort nicht scheut, sollte er auch den richtigen Begriff nennen: Ein Soldat fällt nicht, er wird ermordet. Wenn er also wieder Soldaten irgendwo im Ausland ermorden lassen will, weil das machtpolitisch oder wirtschaftlich erwünscht ist, dann möge er auch bitte nicht von Freiheit reden. Mit Freiheit hat das herrschaftlich wenig zu tun.


Sonntag, 8. April 2012
Gedichte woher nehmen, wenn nicht stehlen? II
Letzes Jahr hatte ich bereits mal einen kurzen Überblick, wo man Gedichte urheberrechtlich einwandfrei abstauben kann. Heute zwei Seiten, die ebenfalls einen Blick lohnen:

Zuerst www.lyrik-lesezeichen.de, eine Website, die sowohl jede Menge Gebrauchsgedichte zu verschiedenen Themen anbietet als auch Infos zu Dichtern. Hinzu kommen bei jedem Thema weiterführende Links.

Bei HaikuHaiku hingegen ist das Lyrik-Angebot auf Links zu Gedichtewebsites beschränkt. Dafür ist die Auswahl größer. Alle empfohlenen Websites scheinen sorgfältig ausgesucht und geprüft worden zu sein, so dass man nicht in urherrechtlichen Fallen gerät.


Dienstag, 28. Februar 2012
Frühlingsgedichte
Eine lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt, schrieb Laotse vor ungefähr 2500 Jahren. Womit er wahrscheinlich meinte, gut vorbereitet sein ist alles. In diesem Sinne will ich auf keinen Fall verpassen, Frühlingsgedichte zum Thema zu machen, bevor es richtig ernst wird mit dem Wachsen und Blühen und Trillern.

Dabei nehme ich dieses Mal die einfachste Variante. Unter HaikuHaiku: Frühlingsgedichte hat sich bereits jemand die Mühe gemacht, ein paar Webseiten aufzulisten, die das Thema beackern. Vier Seiten zum Lesen und Hören meist klassischer Texte sind dabei. Also: Lasset die Schneeglöckchen kommen.


Donnerstag, 9. Februar 2012
Stille
Ich habe schon längere Zeit kein Gedicht mehr hier gebracht. Also habe ich mich auf die Suche gemacht und in dem Tohuwabohu dieses Internets ein Gedicht zum Thema Stille gefunden. Aaah ... einatmen ... ausatmen ... nichts stört ... schön.

Das Gedicht von Friedrich Rückert heißt Waldstille, aber bei dieser Kälte mag wohl keiner lang im Wald hocken, man denke sich also Ofenstille oder Heizungsstille statt dessen und als erste zeile "In der Wohnung saß ich":

Tief im Walde saß ich,
Und die Welt vergaß ich,
Die nie mein gedacht;
Mich in mich versenkt’ ich,
Und mein Sinnen lenkt’ ich
In des Daseins Schacht.

Welt, ich dein vergessen?
Erst dich recht besessen
Hab’ ich fern von dir.
Wo du mir geschwunden,
Hab’ ich dich gefunden
Inniger in mir.

Draußen im Gewirre
Kann man werden irre,
Welt, an sich und dir;
Fern von deinem Rauschen
Kann ich dich belauschen
In mir selber hier.